Wählerinnen – Wähler – Gewählte: Tatsachen und Tendenzen

Schließt man von der Wahlbeteiligung auf die demokratische Anteilnahme der Menschen, so war diese in der Region nicht nur in der Nachkriegszeit enorm hoch: Bei der Kommunalwahl 1946 lag sie in den damaligen fünf Regierungsbezirken des kurz danach gegründeten Bundeslandes Rheinland-Pfalz zwischen 84% und knapp über 90% (Wahlen 1948, S. 14). Erst 1999 fiel die Quote von 74% um mehr als 11% auf knapp über 60% (Städte- und Kreistagswahlen). Dieser Abwärtstrend hat sich seit der Jahrtausendwende sogar noch verstärkt.

Auffällig ist in der Frühphase die hohe Zahl ungültiger Stimmen, meistens in Folge von blanko abgegeben Stimmzetteln („Enthaltung im negativen Sinne”). Sie lag 1946 bei jeweils 5,8% im Rahmen der Gemeinde- wie auch der Kreistagswahlen. Bei den Landtagswahlen am 18.5.1947 stieg sie auf 10,6%, lag bei der Abstimmung über die Landesverfassung bei 14,4% und bei der daran gekoppelten Entscheidung über konfessionsgebundene Grundschulen sogar bei 18,2%. „Gewiß”, so drückt es eine zeitgenössische Einschätzung aus, „hat die lange Ungewohntheit des Wählens und der verschiedene Schwierigkeitsgrad der gültigen Eintragung bei den einzelnen Wahlen zu dem ungünstigen Ergebnis beigetragen“ (Wahlen 1948, S. 11). Zu einem nicht geringen Teil dürfte die hohe Zahl der ungültigen Stimmen aber auch als Ausdruck der Ablehnung der Wahl als solcher respektive ihrer 1946 noch unter direkter Kontrolle der französischen Besatzungsmacht vorgegebenen Form zu sehen sein. Die Zahl der ungültigen Stimmen sollte in den nachfolgenden Kommunalwahlen jedoch konstant sinken. Ab 1960 fiel sie nicht mehr ins Gewicht.

Vor dem Ende der Entnazifizierung, besonders im Wahljahr 1946, war auch der Anteil der Personen ohne Wahlberechtigung sehr hoch. Im Fall von Trier wurde nur 82% der erwachsenen Personen das Wahlrecht zuerkannt – „aus überwiegend politischen Gründen“, wie es in einer städtischen Statistik heißt (Nachkriegswahlen 1959, S. 5). Konkret muss das bedeuten: Beinahe 20% der eigentlich Wahlbefähigten wurden von den französischen Behörden für nationalsozialistisch belastet erachtet. Die Erlangung des passiven Wahlrechts erfolgte gegebenenfalls durch eine nachträgliche Verfügung („Säuberungsbescheid“).

Die sozialgeschichtliche bzw. -statistische Dimension der frühesten Gemeinderatswahlen ist für die Region kaum erforscht. Dies gilt insbesondere für die gesellschaftliche Positionierung, den Berufsstand, das Geschlecht und die Konfessionszugehörigkeit von Wählerinnen und Wählern sowie Gewählten. Am ehesten noch sind Aussagen über Letztere möglich, sofern einzelne ortsgeschichtliche Erhebungen vorliegen. Diese müssen in jedem Fall die verfügbaren Quellensorten kombinieren. Die kommunalen Aktenüberlieferungen sind sehr unterschiedlich beschaffen und in mehreren Fällen nicht adäquat erschlossen (wenn nicht sogar unbekannt geblieben). Besonders bedauerlich ist, dass Berufsangaben der Delegierten im Ganzen unvollständig und zu unpräzise sind, als dass nach gegenwärtigem Kenntnisstand wirklich gesicherte und tiefgründige Aussagen zulässig wären. Systematische personengeschichtliche Sammlungen zur Kommunalpolitik der frühen Nachkriegszeit existieren wohl nirgends. Für das Projekt „Demko“ zeichnen sich immerhin günstige oder relativ günstige Datenlagen ab im Falle der Städte Alzey, Bad Kreuznach, Bitburg, Frankenthal, Ingelheim, Kaiserslautern, Linz, Ludwigshafen, Speyer, Worms, Zweibrücken, bedingt auch für Koblenz, Landau und Trier.

Die offiziellen Statistiken des 1948 in Bad Ems gegründeten Statistischen Landesamtes verzichten vollständig auf die Ermittlung sozialer Gesichtspunkte. Allein auf der Ebene der Kreisversammlungen, wo demnach die kreisfreien Städte außen vor bleiben, bietet sich, zudem nur für die Wahl 1946, ein gewisser Anhaltspunkt. Hier werden nämlich „die Mitglieder der Kreisversammlungen nach Parteizugehörigkeit und Berufen“ klassifiziert (Wahlen 1948, S. 19, Tabelle 8). Demnach verteilten sich die Mitglieder auf die Berufszweige „Hauptamtliche Partei- und Gewerkschaftsangestellte“ (2,9%), Öffentlicher Dienst (22,9%), selbstständige Berufe (61,8%), Arbeitnehmer außerhalb des Öffentlichen Dienstes (11%) und – kurioserweise – „Hausfrauen“ mit 1,4%.

Letzteres wirft die Frage nach der Geschlechtsverteilung unter den Delegierten auf. 1946 waren nur 25 von 903 Kreismitgliedern weiblich (2,75%). Von ihnen waren 16 Mitglieder der CDU. Man erfährt hier auch die Zugehörigkeit nach Alterskohorten: Von den 903 Mandatsträgern waren 6 zwischen 25 und 30 Jahre alt, 75 zwischen 30 und 40 Jahre, 259 zwischen 40 und 50 Jahre, 353 zwischen 50 und 60 Jahre, 185 zwischen 60 und 70 Jahre. 25 Personen waren älter als 70 Jahre. Das durchschnittliche Gemeinderatsmitglied war demnach um 1890 geboren, also Mitte 50 Jahre alt, sowie männlich.

Dieser punktuelle Eindruck deckt sich mit den Befunden über die „Gründergeneration der Bundesrepublik“ im Allgemeinen. So ließen sich unter 2.138 Mitgliedern verfassungsgebender Gremien zwischen 1946 und 1952 die relativ meisten (44% aller) jener Gruppe zuordnen, die ihre politische Prägung – die Lebensjahre 18 bis 24 wurden hierbei nicht ganz unproblematisch angesetzt – bis 1918 durchlebt hatten. „Der Großteil der Verfassungsgeber hat seine politische Sozialisation im definierten Sinne im Kaiserreich erhalten. Knappe zwei Drittel erlebten sie im Kaiserreich 1918. In die Epoche der Weimarer Republik sind demgegenüber 32% hineinsozialisiert worden und nur 1% in das nationalsozialistische Herrschaftssystem. Auch nachfolgende Epochen sind natürlich von Bedeutung gewesen … So sind immerhin etwa 21% in den Ersten Weltkrieg hineingewachsen und 18% in die nachfolgende Revolution und Krise. Rechnet man die knapp 5% der Mitglieder verfassungsgebender Gremien hinzu, die die ausgehenden Krisenjahre der Weimarer Republik erlebt haben, so sind immerhin 45% in instabile Zeiten hineingewachsen“ (Pfetsch 1986, S. 240–241).

Wahlbüro in Trier („Bureaux de vote de Trèves), wohl 1946, aus: Stadtarchiv Trier, Sam 128 / 131.

Erste Erkenntnisse des Projekts „Demko“, also im regionalen Rahmen und weit unterhalb der Ebene politischer Funktionseliten, ermöglichen unter dem Vorbehalt von Prüfungen und Ergänzungen folgende Aussagen: Insbesondere bei den Bürgermeistern und Beigeordneten, in der Anfangszeit vor allem bedingt durch die Kontrolle der amerikanischen und französischen Besatzungsmacht, tritt ein juristischer bzw. verwaltungsrechtlicher Hintergrund hervor: Bei insgesamt 144 Personendatensätzen der Projektkategorie „Stadtrat“, lässt die Bezeichnung „Dr.“ oder „Prof.“ auf eine gewisse Professionalisierungstendenz schließen. Unter den Ratsangehörigen waren bei 1.545 referenzierbaren Personen mindestens 75 Juristen zu identifizieren. Der Beruf des Kaufmanns ist mit 134 am stärksten vertreten.

Wie es im Ganzen aussah, ist noch weniger präzise und wiederum nur auf die in den Akten identifizierten Personen zu beziehen. Demnach sind schätzungsweise 60% kaufmännischen und administrativen Funktionen und 30% gewerblich-handwerklichen Tätigkeiten zuzuordnen. Nur rund 3,5% waren in irgendeiner Form Empfänger von Pensionen oder Sozialbezügen.

Weibliche Ratspersonen ließen sich in 197 Fällen feststellen – gegenüber 2.309 Männern (sofern das Geschlecht immer eindeutig klar wird). Die Frauen verteilten sich, sofern Parteiangaben vorhanden, wie folgt: SPD: 74, CDU: 67, FDP: 17, KPD: 16, Wählergruppen: 8 (bei Parteiwechseln erfolgt hiermit eine statistisch aber unwesentliche Doppelzählung). In 119 der 197 Fälle liegen Berufsbezeichnungen vor: Unter ihnen waren mit 75 die meisten Hausfrauen, gefolgt von 11 Lehrerinnen, 9 Angestellten, 7 Witwen und Pensionärinnen, 5 Fürsorgerinnen, je 3 Geschäftsfrauen und Ärztinnen. Bleibt zu erwähnen, dass das Statistische Landesamt 2014 und 2019 Paritätsstatistiken erhob, die die aktive und passive Partizipation nach Geschlecht aufschlüsselte. 2019 ging demnach knapp ein Viertel aller kommunalpolitischen Mandate (23,8%) an Frauen.

Mit Hilfe der großen Stadtgeschichte von Ludwigshafen sei kurz auf einen gut aufgearbeiteten Einzelfall geblickt, in dem sich ein dominantes Wählermilieu klar abzeichnete: „Die Wahlresultate … waren ein getreuer Spiegel sozialer und gesellschaftlicher Tendenzen, die zum Teil direkt an die Verhältnisse in der Weimarer Republik anknüpften und noch bis weit in die Geschichte der Stadt in der Bundesrepublik, ja bis zum heutigen Tag Bestand haben sollten“ (Gleber, in: Becker / Mörz (Hgg.) 2003, S. 439–440). Die Ratsmitglieder selbst sind aber sogar im ›proletarischen‹ Ludwigshafen nicht der Arbeiterschaft zuzuordnen. Der am häufigsten nachgewiesene Berufszweig war auch hier der der Kaufleute (14 von 147). Dabei steht zu vermuten, dass nicht das Ansehen der arbeitenden Politiker kritisch gesehen wurde, sondern vielmehr das politische Engagement von Arbeiterinnen und Arbeitern (ebd., S. 441). Rund ein Viertel bis ein Drittel der Ratsmitglieder übte handwerkliche Berufe aus, doch waren kaufmännische und Verwaltungsangestellte am stärksten vertreten, Gewerkschaftsvertreter eingeschlossen: Im sozialdemokratisch dominierten Ludwigshafen waren 12 von 147 Ratspersonen Frauen (8,2%), die Hälfe von ihnen wiederum „Hausfrauen“.

Literatur

  • Becker, Klaus Jürgen / Mörz, Stefan (Hgg.), Geschichte der Stadt Ludwigshafen am Rhein, Bd. 2: Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zur Gegenwart, Ludwigshafen am Rhein 2003 (hier die Beiträge von Peter Gleber, S. 417–501 u. Klaus Jürgen Becker, S. 503–651).

  • Kevenhörster, Paul, Parallelen und Divergenzen zwischen gesamtsystemarem und kommunalem Wahlverhalten, in: Konrad Adenauer Stiftung (Hg.), Kommunales Wahlverhalten, Bonn 1976.

  • Landeswahlleiter Rheinland-Pfalz, Paritätsstatistik zu den Kommunalwahlen 2019 [online].

  • Die Nachkriegswahlen (1946–1959) in der Stadt Trier. Gemeinde-, Landtags- und Bundestagswahlen mit einem Rückblick auf die Wahlen in den Jahren 1928 bis 1933 (= Beilage zur Trierer Statistik für das 4. Vierteljahr 1958), o. O. [Trier] o. J. [1959].

  • Naßmacher, Hiltrud, Kommunalwahlen unter veränderten Wettbewerbsbedingungen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 44, H. 4 (2013), S. 847–872.

  • Pfetsch, Frank R., Die Gründergeneration der Bundesrepublik. Sozialprofil und politische Orientierung, in: Politische Vierteljahresschrift 27 (1986), S. 237–251.

  • Schumacher, Martin. M.d.B. Volksvertretung im Wiederaufbau 1946–1961. Bundestagskandidaten und Mitglieder der westzonalen Vorparlamente. Eine biographische Dokumentation, Düsseldorf 2000.

  • Die Wahlen und Volksabstimmungen in Rheinland-Pfalz in den Jahren 1946/1947, hg. vom Statistischen Landesamt Rheinland-Pfalz, Bad Ems, o. J. [1948].

 

Verfasser: Stephan Laux (27.7.2023); letzte Veränderung: 29.2.2024.